Stellt man im Kampf gegen Überfischung fest, dass der Dorsch bereits hungert, dann hat man Fangverluste durch Überfischung durch Verluste infolge Unternutzung ersetzt. Während Überfischungsverluste durch die Fischerei auf Hering und Sprott kompensiert werden können, erweitern sich Unternutzungsverluste um Verluste in der Herings- und Sprottfischerei, denn der nun unproduktive Dorsch frisst weiter, bringt aber nur noch geringe Erträge.
Bei der Überfischung unterscheidet man bisher zwischen Nachwuchsüberfischung und Wachstumsüberfischung. Neu eingeführt werden sollte die Nahrungsüberfischung.
Die Nachwuchsüberfischung ist verursacht durch eine zu starke Reduktion des Elternbestandes und infolgedessen von zu wenig Nachwuchs. Als deutliches Indiz für eine ausreichende Nachwuchsproduktion steht das Rückwurfproblem, zu kleine Fische werden gefangen und wieder über Bord geworfen, was durch eine größere Maschenöffnung leicht verhindert werden könnte.
Die lauteste Kritik entsteht jedoch wegen bisher stets fehlgeschlagener Versuche die Wachstumsüberfischung zu verhindern. Wachstumsüberfischung tritt auf, wenn Fisch gefangen wird, bevor er sein Wachstumspotential voll ausgeschöpft hat. Dieses Potential ist erreicht, wenn eine zunächst unbefischte Kohorte durch das Wachstum der einzelnen Fische genauso viel an Biomasse zunimmt, wie sie durch die natürliche Sterblichkeit verliert – dies ist im Biomassemaximum der Fall. Fischt man hier die gesamte Kohorte ab, erhält man den maximalen Ertrag pro Rekrut, der in der Regel zur Berechnung des maximalen Dauerertrages (MSY) herangezogen wird. Mit jedem Schritt in Richtung MSY wird jedoch der Futterbedarf der Bestandsbiomasse größer, so dass häufig Futtermangel das Erreichen dieses Zieles verhindert.
Hier kommt der neue Begriff Nahrungsüberfischung ins Spiel. Nahrungsüberfischung ist gekennzeichnet durch eine Fehlanpassung von Futterproduktion durch das Ökosystem und Futterverbrauch durch den Bestand. Aus der Aquakultur wissen wir, dass Produktion und Verbrauch in etwa gleich sein müssen. Eine Fehlanpassung verursacht Ertragsverluste, denn Nahrungsüberfischung (Nahrungsüberfluss) würde das Mästen größerer Bestände zulassen. Eine Nahrungsunterfischung der Bestände (Nahrungsmangel) führt zu Kümmerwachstum. Bestehende Modelle legen häufig noch eine Bestandsschonung nahe, obwohl eine schärfere Befischung der Bestände angezeigt wäre.
Mit den Fortschritten beim Kampf gegen die Überfischung entsteht Nahrungsmangel. Diesem neuen Problem steht ein veralteter mathematischer Modellansatz gegenüber, denn entsprechende Berechnungsverfahren sind in den herkömmlichen Ertragsmodellen nicht enthalten. Ein zentrales Modell, welches von der Fischereiforschung zur Ableitung von Befischungsmustern verwendet wird, ist das Beverton und Holt Ertragsmodell (B&H-Modell). Innerhalb dieses Modells wird die von Bertalanffy Funktion (vBGF) zur mathematischen Beschreibung des Wachstums der Fische verwendet. Das vBGF hat zwei Eingangsparameter: die Grundbedarfsrate und die asymptotische Endmasse des Fisches. Erstaunlicher Weise fehlt die Nahrungsaufnahme als Eingangsparameter. Dies hat historische Gründe. In Zeiten von maßloser Überfischung gab es stets einen Nahrungsüberschuss und damit nicht die Notwendigkeit Nahrungsmangel in die Modellierung einzubeziehen. Es schien anschaulich zu sein, die asymptotische Endmasse als Wachstumsziel in der Gleichung zu verwenden, welches mit fortschreitender Zeit stets erreicht wurde. Die Modellpallette wurde nun um ein Modell zur Berechnung des Futterverbrauchs pro Rekrut erweitert. Dies ermöglicht, Fehlinterpretationen und daraus resultierende Mythen zu widerlege.
- Falsch: Der Fischereiaufwand muss verringert werden – Richtig: Diese Aussage hat noch nie gestimmt. Im Text des B&H-Buches steht explizit, dass der Maximalertrag für eine unendlich hohe fischereiliche Sterblichkeit erreicht wird. Wenn der Fisch erntereif ist, dann hängt der Ertrag kaum von der Erntegeschwindigkeit ab. Für Aufwandssenkungen (z.B. die Begrenzung der Stellnetzlänge und der damit verbundenen Benachteiligung der Stellnetzfischerei) gibt es keinen biologischen Grund.
- Falsch: Kleinebleibende Bestände sind ein Zeichen für dauerhafter Schädigung – Richtig: Durch die Fischerei wird die Altersstruktur der Bestände verändert. Junge Fische konsumieren weit oberhalb der Grundbedarfsrate und sind daher produktiv. Bei konstanter Nahrungsproduktion durch das Ökosystem müssen vielverbrauchende, befischte Bestände zwangsläufig kleiner sein.
- Falsch: Fischbestände müssen wieder aufgebaut werden, damit zukünftig nachhaltige Erträge erzielt werden können – Richtig: Die Fischerei muss großen, zunehmend unproduktiven und damit erntereifen Fisch zügig abfischen damit vorhandenes Futter optimal verwendet wird.
- Teilweise richtig: Rekrutenüberfischung muss vermieden werden – Richtig: Ein sicheres Zeichen für eine ausreichende Rekrutenproduktion ist das immer noch vorhanden Rückwurfproblem. Eine Überproduktion von Rekruten muss ebenfalls vermieden werden, denn auch hierdurch wird Futter verbraucht.
Die Verwendung dynamischer Modelle (z.B. das eco²-Modell) gelingt die mathematische Zusammenführung von biologischen, technischen und ökonomischen Problemstellungen. Dies ermöglicht die zukünftige Zusammenarbeit von Biologen, Fischereitechnikern und Ökonomen. Die Integration der Nahrungsaufnahme in eine neue Wachstumsfunktion ist dabei der Schlüssel.
Ein häufig genanntes Ziel bei der Befischung ist die Erzielung des maximalen Dauerertrages. Andere Ansätze wurden jedoch auch vorgeschlagen oder werden verwendet. Wir vergleichen hier die folgenden Ansätze, die beispielhaft am Dorsch für die Ostsee durchgerechnet wurden:
- Beverton und Holt-Ertragsmodell
- Vorsorgeansatz
- Mehrartenmodell und MSY
- Ökosystemansatz und Erlös
Beverton und Holt-Ertragsmodell
Geht man davon aus, dass sich die Anzahl der Rekruten ertragslimitierend auswirkt, jedoch immer ausreichend Nahrung zur Verfügung steht, ist das Beverton und Holt-Modell dazu geeignet, den Ertrag an gefangener Biomasse pro Rekrut maximieren. Die Biomasse einer unbefischten Kohorte ergibt sich aus der Multiplikation von Anzahl und Körpermasse der Fische, in Abbildung 1 dargestellt als Funktion
der Körpermasse der betrachteten Fischart. Abbildung 1 zeigt ein deutliches Biomassemaximum, einmal für Nahrungsüberschuss (schwarze Kurve) und einmal für Nahrungsmangel (graue Kurve). Für das gezeigte Beispiel ist die mittlere Stückmasse im Fang bei Nahrungsüberschuss etwa 11,5 kg, bei Nahrungsmangel jedoch nur noch etwa 6,2 kg. Eine tatsächliche Verwendung würde die Unbrauchbarkeit dieser Rechenergebnisse schnell offenbar werden lassen. Man beruft sich auf ökonomische Gründe, um anstatt eine große Maschenöffnung, dann doch eine unrealistisch geringe fischereiliche Sterblichkeit zu verwenden. Durch eine geringere fischereiliche Sterblichkeit stehen der Kosteneinsparung Ertragsverluste gegenüber. Die Grundregel muss sein, dass die fischereiliche Sterblichkeit immer deutlich größer sein muss als die natürliche Sterblichkeit. Sind beide Sterblichkeit gleich groß, dann ist der Ertrag der Fischer genauso groß wie die Beute der natürlichen Feinde. Tritt Nahrungsmangel auf, dann rückt das Biomassemaximum nach links, weil die Kohorte der natürlichen Sterblichkeit länger ausgesetzt ist. Auf die Auswirkungen von Nahrungsmangel muss durch die Änderung der Maschenöffnung reagiert werden. Tut man das nicht, sinkt in dem gezeigten Beispielfall der Ertrag auf etwa die Hälfte ab. Wenn man die Maschenöffnung an das durch Nahrungsmangel veränderte Biomassemaximum anpasst, erleidet man gleichfalls, wenn auch geringere Ertragsverluste. Das Nahrungsproblem wird verschleiert, aber nicht gelöst. Vor der Verwendung des Beverton und Holt-Modells ist es zwingend erforderlich zu prüfen, ob sich die Anzahl der Rekruten ertragslimitierend auswirkt und ob dabei stets ausreichend Nahrung zur Verfügung steht. Nur in diesem Fall ist es sinnvoll das Wachstumspotential eines einzelnen Rekruten voll auszunutzen. Das dürfte nur in seltenen Fällen zutreffen, jedoch ist die Verwendung dieses Modells zur Ableitung von Befischungsmustern derzeit die Regel, sollte jedoch die Ausnahme sein.Vorsorgeansatz
Für die Erzielung des Maximalertrages könnte man vor der Entscheidung stehen, das Beverton und Holt-Ertragsmodell zu verwenden und die Anzahl der Rekruten, z.B. durch die Industriefischerei, zu reduzieren, oder aber diese Reduzierung zu unterlassen und eine größere Anzahl von Fisch auf eine geringere Endmasse zu mästen. Entscheidet man sich hier für den Vorsorgeansatz, dann kann man unter bestimmten Bedingungen den Ertrag verdreifachen. Was ist der Grund dafür? Aus Abbildung 1 ist ersichtlich, dass sich die Biomasse in der Nähe des Maximums kaum ändert, obwohl die Kohorte Futter verbraucht. Wirkt die Nahrung ertragslimitierend und sind Rekruten in ausreichender Zahl vorhanden, dann muss der Maximalertrag aus der vom Ökosystem bereitgestellten Nahrung erzeugt werden. Dies ist der Ansatz, welcher typischerweise in der Aquakultur verfolgt wird. Den Begriff Wachstumsüberfischung gibt es hier nicht, dagegen spielt
der Nahrungsverbrauch eine herausragende Rolle. Hier gibt das augenblickliche Futterverwertungsverhältnis (iFCR) Auskunft darüber, wieviel Futter pro Massezuwachs des zu mästenden Fisches benötigt wird (Abbildung 2). Links des Biomassemaximums der Kohorte schnellt der Futterbedarf nach oben. Rechts vom Maximum ist der iFCR sogar negativ. Die Kohorte verbraucht Futter, der Biomassezuwachs ist hier jedoch bereits negativ. Dies ist für Nahrungsüberschuss und Nahrungsmangel gleichermaßen der Fall. Der Vorsorgeansatz sorgt dafür, dass das Befischungsmuster so gewählt wird, dass die Rekrutierung zuverlässig gewährleistet wird und immer eine ausreichende Anzahl von Rekruten zur Verfügung steht. Ausreichend ist die Rekrutierung immer dann, wenn die Rekruten in der Lage sind, das gesamte vom Ökosystem angebotene Futter zu konsumieren. Futterproduktion durch das Ökosystem und Futterverbrauch durch den Bestand müssen stets ins Gleichgewicht gebracht werden. Der Vorsorgeansatz ist das geeignete Modell zur Fangmaximierung, wenn sich die verfügbare Futtermenge ertragslimitierend auswirkt.Mehrartenmodell und MSY
Aus Abbildung 2 kann abgelesen werden, dass man stets mehr Futter braucht als man an Biomassezuwachs bei der Zielart erzielt. Die bei der Nahrungsverwertung anfallenden Exkremente und der Grundbedarf der Fische bewirken dies. Will man den gemeinsamen Ertrag der Fischerei auf die Zielart und auf den Futterfisch maximieren, erhält man stets das Ergebnis. Die Zielart muss ausgerottet werden damit der Ertrag auf den vorher konsumierten Futterfisch maximiert werden kann. Hier ist die Nahrungskette jedoch noch längst nicht zu Ende. Mit der Ausrottung jeder trophischen Ebene könnte man den Ertrag mindestens verzehnfachen. Enorme Steigerungen des Gesamtertrages wären möglich. Leider gibt es nicht für jeden erzielten Fang auch einen entsprechenden Markt. Diesbezügliche Betrachtungen bleiben in Allerregel im Anfangsstadium stecken, weil, im Gegensatz zu Erlösbetrachtungen, Betrachtungen, die ausschließliche auf Erträge beruhen nie logisch schlüssige Konzepte ergeben.
Ökosystemansatz und Erlös
Aquakulturanlagen versuchen Mastfisch mit einem möglichst geringen Futtereinsatz zu erzeugen und das bei möglichst geringen Futterkosten. Ziel ist immer die Gewinnmaximierung und nicht die Ertragsmaximierung. Die Futterkosten ergeben sich aus der Nahrungszusammensetzung und bestehen für Dorsch hauptsächlich aus vier Komponenten. Das Verhältnis zwischen den Komponenten ändert sich mit der erreichten Körpermasse (Abbildung 3 A, Quelle: EU-Studie MARE/2012/02). Junger Dorsch ernährt sich zu nächst von Benthos und erst später kommt die Baltische Riesenassel dazu.
Nimmt die Körpermasse des Dorsches weiter zu, erhöht sich der Anteil der Fische an der Nahrung und erhöht damit den Futterpreis (Abbildung 3 B). An dieser Stelle wird der Einwand erwartet, dass Fischer den Dorsch nicht füttern müssen. Das Futter ist kostenlos! Dem ist jedoch nicht so, denn für den Anteil an Fisch in der Dorschnahrung gibt es eine alternative Nutzung, eine Fischerei auf Sprotte und Hering. Die Dorschfischer mästen den Dorsch und bezahlen dies mit Einnahmeverlusten der Herings- und Sprottfischer.
Abbildung 3 C zeigt die mittleren Dorschpreise pro kg für die einzelnen Sortierungen. Man braucht zwar mehr Futter, aber es scheint lohnenswert zu sein, den Fang der Sortierung II und III anzustreben.
Hier kommt die Ökonomie ins Spiel. Aus dem augenblicklichen Futterverwertungsverhältnis iFCR (Abbildung 2) und dem Futterkosten/Dorscherlös-Verhältnis lässt sich das ökonomische Futterverwertungsverhältnis eFCR (Abbildung 3 D) berechnen. Dies Verhältnis sagt aus, welche Futterkosten dem Erlös an gemästetem Dorsch gegenüberstehen. Bei dem Wert eFCR = 1 sind die aufgewendeten Futterkosten genauso hoch wie der spätere Erlös – dieser Wert bildet die Grenze, die sinnvolles von unsinnigem Wirtschaften trennt.
Aus der Abbildung 3 D ist ersichtlich, dass die Mast von Dorsch der Sortierung I und II gesamtwirtschaftlich kein gutes Geschäft ist. Diese Abbildung legt nahe, dass der Dorsch vor dem Erreichen einer Körpermasse von etwa 1 kg abgefischt sein sollte. Die Ergebnisse bezüglich der Befischungsmuster, die durch die Verwendung des Beverton und Holt-Ertragsmodells, dem Vorsorgeansatz, dem MSY-Mehrartenmodell und dem Ökosystemansatz berechnet wurden, sind groß. Dem Ökosystemansatz sollte zukünftig eine höhere Aufmerksamkeit zukommen.
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